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Schwinger Club Vol. 11

Didier Cuche

Von Jan Langenbein, Fotos: Mike Meyer

Fünfmal die Streif gewonnen, zweimal Sportler des Jahres, einmal sogar "Schweizer des Jahres" und jetzt auch noch Mitglied im GolfPunk Schwinger Club: Didier Cuche hat so ziemlich alles richtig gemacht.

"Am ersten Abschlag war ich so nervös, ich konnte meine Beine nicht mehr spüren", gab Colin Montgomerie beim Ryder Cup 2004 in Oakland Hills nach seinem ersten Match zu Protokoll. Nachvollziehbar, immerhin lastete auf den Schultern des Schotten das Gewicht eines ganzen Kontinents. Aber seien wir ehrlich: "Monty" stand damals auf dem perfekt manikürten Abschlag eines ultraexklusiven Country Club und außer einer möglichen Pollenproblematik bestand nun wirklich keine Gefahr für Leib und Leben.

Die Aussicht aus dem Starthaus der Streif in Kitzbühel ist mindestens fünf Milliarden Mal furchteinflößender, als es das brutalste Eröffnungsloch der Golfwelt jemals sein könnte, und natürlich stand Didier Cuche jedes Mal unter Strom, wenn das charakteristische "beep-beep-beeeeeep" aus den Lautsprechern erklang, doch Herr der Lage war er jederzeit. Besser so, schließlich stand jedes Mal, wenn er sich wieder mit über 120 Sachen einen beinahe vertikalen Eishang hinunterstürzte, seine Gesundheit auf dem Spiel. "Die Situationen am ersten Abschlag einer Golfrunde und im Starthaus eines Abfahrtsrennens unterscheiden sich nur minimal. Es herrschen eine leichte Nervosität und eine positive Anspannung. Weiche Beine vom Adrenalin darf es beim Skirennen nicht geben, sonst würde man in der ersten Kurve die Kontrolle verlieren und sehr gefährliche Dinge könnten passieren." Und Didier Cuche muss es wissen, immerhin hat er zwölf Weltcup-Abfahrten gewonnen, darunter fünfmal die legendäre Streif, viermal den Abfahrtsweltcup, einmal den Super-G-Weltcup und einmal den Riesenslalomweltcup. Endlich, denke ich mir, haben wir einen Weltklasseathleten gefunden, der seine Disziplin gemeistert hat und es auch am ersten Abschlag nicht mit der Angst zu tun bekommt.

Denn wie oft haben uns schon Fußballer, Eishockeyspieler und Tennisprofis erzählt, dass kein volles Stadion, sehr wohl aber ein menschenleerer erster Abschlag sie vollkommen aus dem Konzept bringen kann! Doch dieser Mann hat die härtesten Pisten der Welt bezwungen und fährt seit seinem Karriereende vor zwei Jahren hobbymäßig Autorennen; Golf kann da wohl kaum den Puls erhöhen, oder? "In den ersten Jahren als Golfer war ich regelmäßig ziemlich nervös am ersten Abschlag, aber seit fünf oder sechs Jahren hat sich das gegeben."

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GOLF HAT MIR GEHOLFEN, MEINE MANCHMAL VIEL ZU HEFTIGE VERBISSENHEIT IN DEN GRIFF ZU BEKOMMEN.
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Na ja, das lassen wir mal gelten. In der Theorie müsste ein Weltklasse-Abfahrer ein nahezu perfekter Golfer sein, denn um Rennen in Kitzbühel, Wengen oder Garmisch zu gewinnen, braucht es nicht nur Nerven aus Stahl, sondern auch eine unerschütterliche Physis, jede Menge Trainingsfleiß und ein gesundes Maß an Verbissenheit. Es hat daher sofort gepasst, als Didier Cuche 1996 während eines Trainingslagers in Australien und einige Kollegen des Schweizer Nationalteams aus einer Laune heraus in einem Golf Club aufkreuzten und sich alle Mühe gaben, wie ernsthafte Golfer auszusehen, um auf das erste Tee vorgelassen zu werden. Der Angestellte im Pro-Shop ließ sich von dieser Bande Naturburschen tatsächlich beeindrucken, rückte Leihschläger und Scorekarten heraus und Didier war angefixt: "Es hat mich sofort gepackt! Doch noch auf der ersten Runde gab es einen dramatischen Zwischenfall. Auf dem Fairway saß ein Schwarm Vögel und ich toppte einen Ball exakt in diese Richtung. Alle Vögel stiegen panisch auf - alle bis auf einen: Volltreffer!" Das arme Tier war nicht mehr zu retten und als Erinnerung und Mahnung an die "Gefährlichkeit" des Golfsports schmückte viele Jahre lang eine Feder des so dramatisch ums Leben gekommenen Tiers Wohnung des Schweizer Skistars.

In Deutschland, wo der alpine Skisport ein Nischendasein fristet, wird leicht übersehen, welch große Nummer Didier Cuche in der Schweiz ist. Uns wird jedoch schnell klar, als wir uns mit unserem neuesten Mitglied des GolfPunk Schwinger Club während des Omega European Masters in Crans-Montana treffen, dass wir es hier mit einem Schweizer Nationalheiligtum zu tun haben. Hätten wir eine Chance gehabt, die Seilbahn auf die Cabane des Violettes eine halbe Stunde früher anlaufen zu lassen als geplant, um oben am Berg das perfekte Licht für diese Bilder zu erwischen? Drei deutsche Nobodys wollen einen Schweizer Zeitplan durcheinander werfen? Keine Chance. Als der Name Didier Cuche fällt, sieht die Welt gleich ganz anders aus und wir können sogar einen längst eingemotteten Sessellift in Beschlag nehmen.

2009 und 2011 war Didier Sportler des Jahres in der Schweiz und das ist deshalb erwähnenswert, weil der beste Tennisspieler aller Zeiten ebenfalls Schweizer ist und just 2009 das erste Mal die French Open gewann: ein Sieg, den ihm viele Experten nicht zutrauten und der den Karriere-Grand-Slam endlich perfekt machte. Angesprochen auf diese Auszeichnung ist Didier Cuche beinahe peinlich berührt. "Es ist ein schöner Preis, da er von der eigenen Leistung und von der Popularität abhängig ist. Ich möchte die Leute, die 2009 für mich gestimmt haben, nicht beleidigen, aber wie konnte man in diesem Jahr nicht für Roger Federer stimmen? Er hat das erste Mal Roland Garros gewonnen! Ich war wirklich sehr überrascht, dass ich dieses Auszeichnung erhalten habe. Vielleicht haben ein paar Leute gedacht: 'Roger hat schon so oft gewonnen, jetzt geben wir diesen Preis mal einem kleinen Skifahrer!'" Er muss lachen, als er diese Vermutung ausspricht, wird aber sofort wieder ernst, als er hinterherschiebt: "2011 hatte Roger keine gute Saison und ich habe die Auszeichnung meiner Meinung nach zu Recht erhalten." Im gleichen Jahr wurde Didier auch "Schweizer des Jahres" - ein Titel, der beinahe einem Ritterschlag gleichkommt.

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Es ist also kein Wunder, dass die Fotos, die wir hoch über Crans-Montana schießen, nicht die einzigen sind, für die Didier an diesem Morgen posieren muss. Egal ob Techniker der Bergbahn oder Wanderer beim Aufstieg, jeder Schweizer weiß sofort, wen er da vor sich hat, obwohl Cuche bei seinen Erfolgen doch jedes Mal hinter Skibrille und Helm versteckt war. Hier in Crans-Montana feierte Didier im Februar 2012 den letzten von insgesamt 21 Weltcup-Siegen und trug sich im Alter von 37 Jahren und sieben Monaten als ältester Sieger eines Weltcup-Super-G-Rennens in die Rekordbücher ein. Es war vor allem der Herbst seiner Karriere, nachdem Didier Cuche seinen 30. Geburtstag bereits gefeiert hatte, in dem er seine größten Erfolge einfuhr und das Image des "ewigen Zweiten" endlich ablegen konnte. Am Ende war es eine Karriere gespickt mit den höchsten Höhen, die ein Sportler erreichen kann, aber auch geprägt von Krisen und Tiefpunkten, von denen sich viele Kollegen nicht wieder erholt hätten.

Der Golfsport hat Didier Cuche bei dieser Achterbahnfahrt begleitet und er ist sich sicher, dass seine Erfahrungen auf den Fairways seine Profilaufbahn beeinflusst haben. "Eine Runde Golf ist wie eine Saison im Weltcup. Jedes Loch ist ein einzelnes Rennen. Wenn du eines verhackst, dann musst du das sofort abhaken und dich auf die nächste Aufgabe, das nächste Rennen konzentrieren. Golf ist in dieser Hinsicht extrem. Du hast nur wenige Minuten, manchmal sogar nur wenige Sekunden, um einen schlechten Schlag abzuschütteln. Es ist entscheidend, dass du dich schnell wieder konzentrierst. Diese Coolness habe ich noch nicht. Aber ich bin mir sicher, dass mir Golf geholfen hat, meine manchmal viel zu heftige Verbissenheit ein wenig in den Griff zu bekommen."

Wie jemand, der sein letztes World-Cup-Rennen auf Holzskiern und in nostalgischer Skikleidung bestritt, von mangelnder Coolness sprechen kann, ist uns ein Rätsel, denn in der Golf-Kollektion des schweizer Sportartikelherstellers Kjus geht er am ersten Tee des Pro-Am in Crans-Montana beinahe als Profi durch, und als dann der erste Ball links in eine Baumgruppe gepullt wird, ist seinem Gesicht keine Gemütsregung anzumerken. Beim Abendessen wollen wir ihn damit aus der Reserve locken: "Wohl doch etwas nervös gewesen am ersten Abschlag, oder, Didier?" Doch der hat dafür nicht mal ein müdes Lächeln übrig und lässt sein dickes Steak nicht aus den Augen. "Ich habe den Ball gefunden und Par gespielt!" Coolness-Test bestanden und herzlich willkommen im Schwinger Club, Didier Cuche!

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