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Quiet please! Ein Blick sagt mehr als tausend Pappschilder

Schwinger Club Vol. 17

Lars Riedel

Von Jan Langenbein, Fotos: KIKE

Das neueste Mitglied im Schwinger Club beweist uns, dass der Golfsport vielleicht tatsächlich eine zweite Sportlerkarriere für ihn bereithält.

Wir stehen am Strand des "Kempinski Hotel Bahia" an der spanischen Costa del Sol und wollen einen Power Drive hinaus aufs Mittelmeer sehen. Lars vergewissert sich noch einmal: "Volle Pulle?" - "Natürlich volle Pulle! Aber sei bitte vorsichtig. Wir wollen nicht, dass du dir eine Zerrung zuziehst. Du bist schließlich nicht mehr der Jüngste", antworte ich mit der Absicht, einen ehemaligen Weltklasseathleten, Olympiasieger und fünffachen Weltmeister aus der Reserve zu locken. War es eine gute Idee? Schließlich warf der Mann zu seinen besten Zeiten den Diskus 71,50 Meter weit und misst nicht nur 1,99 Meter, sondern bringt auch 110 Kilogramm auf die Waage. Wer behauptet, Schwimmer hätten ein breites Kreuz, hat noch nie einen Diskus-Champion aus der Nähe gesehen. Sieben Jahre nach seinem Karriereende 2008 hat Lars rein gar nichts von dieser beeindruckenden Physis eingebüßt, und als er den Driver aus dem Golfbag zieht, wirkt der sonst so massige 460-ccm-Schläger in seinen riesigen Händen wie ein jämmerlicher Zahnstocher. Vielleicht sollte man eine solche Naturgewalt nicht unbedingt mit dummen Sprüchen über das Alter anstacheln. Doch einen Bären wie Lars Riedel aus der Ruhe zu bringen ist gar nicht so einfach. Der stellt sich nämlich in die Ansprechposition und grinst mich noch kurz an, bevor er aufzieht. Der Ball verschwindet in der diesigen Luft über dem Mittelmeer und wir staunen nicht schlecht. Dieser Drive flog weit. Höllisch weit. "Frank Adamowicz versucht immer wieder, mich zu motivieren, für Long-Drive-Meisterschaften zu trainieren. Er ist sich sicher, dass ich mit konzentrierter Arbeit an meinem Schwung in der Klasse der über 50-Jährigen bei den großen Wettbewerben in den USA Chancen auf den Sieg hätte. Aber ist bin ja erst 47. Bleibt also noch Zeit für diese Sache." Lars Riedel hat mir gerade nach allen Regeln der Kunst das vorlaute Mundwerk gestopft.

Schwinger Club Vol. 17: Bizepsneid: Für diese Oberarme würde Bubba Watson töten!Schwinger Club Vol. 17: Bizepsneid: Für diese Oberarme würde Bubba Watson töten!
Bizepsneid: Für diese Oberarme würde Bubba Watson töten!

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NICHT BEI DER ARMEE GEWESEN UND KEINE PLATZREIFE GEMACHT - ZWEI WICHTIGE PUNKTE IN MEINEM LEBEN, AUF DIE ICH RICHTIG STOLZ BIN.
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Nachdem er in den 70ern bei Zwickau aufgewachsen war, verlief die Leichtathletikkarriere nicht so glatt, wie man es angesichts von Lars' schier unglaublichem Talent und seinen körperlichen Voraussetzungen vermuten würde. Große Erfolge blieben während seiner Zeit in der Junioren-Nationalmannschaft der DDR während der 80er aus, und als nach der Wende sein Trainer plötzlich ohne Stelle dastand, war sich auch der gelernte Betonfacharbeiter Riedel nicht mehr so recht sicher, ob das Diskuswerfen tatsächlich ein Modell für die persönliche Zukunft war. Zwischenzeitlich arbeitete er wieder auf dem Bau und trainierte kaum noch. Ein Wechsel zum USC Mainz und die Arbeit mit dem dortigen Trainer Karlheinz Steinmetz läuteten dann jedoch die goldenen 90er ein und Lars Riedel dominierte die Diskuswelt mit Weltmeistertiteln 1991, 1993, 1995, 1997 und einem spektakulären Olympiasieg 1996 in Atlanta, an dessen Ablauf er sich heute noch erinnert, als wäre es gestern gewesen: "Nachdem ich meine ersten beiden Versuche versemmelt hatte, musste der dritte gut werden, denn sonst wäre ich vor den letzten drei Würfen im olympischen Finale ausgeschieden. In einem solchen Moment machen sich negative Gedanken im Kopf breit. Diese auszublenden kostet enorm viel Kraft. Es gab nur eine Möglichkeit, das Stadion zu verlassen: auf die Toilette. Ich bin also gemeinsam mit einem Kampfrichter in die Katakomben verschwunden und habe damit auch die Extremsituation des Stadions verlassen. Alles um mich herum wurde leiser und leiser. Ich weiß absolut nicht mehr, ob ich tatsächlich auf der Toilette war oder nicht, nur noch, wie ich vor dem Spiegel stand und überlegte, was ich beim dritten Wurf besser machen könnte.

Zurück im Stadion dachte ich mir dann nur noch: 'Und jetzt wie im Training!'" Was folgte, waren ein Wurf auf 65,40 Meter und das sichere Weiterkommen. Wurf fünf flog dann auf sagenhafte 69,40 Meter, was die Goldmedaille und olympischen Rekord bedeutete.

Spricht Lars heute über einzelne Würfe, die sich als schicksalshaft herausstellten, wird deutlich, wie groß die Parallelen zwischen Diskuswerfen auf Weltklasseniveau und dem sportliche Geschehen auf der PGA Tour sind. Die Fähigkeit, einen hunderttausend Mal trainierten und doch immer noch höchst komplexen Bewegungsablauf in einer Situation äußerster Anspannung abrufen zu können, und die mentale Fähigkeit, negative Gedanken für den Verlauf eines Wettkampfs nicht nur auszublenden, sondern auch zu besiegen, sind nur zwei der Eigenschaften, die sowohl ein Diskusweltmeister als auch ein Major-Sieger sein Eigen nennen muss. Kein Wunder also, dass ein vom Wettkampf Getriebener und auf perfekte Technik Versessener wie Lars Riedel irgendwann beim Golf landete.

Der erste Kontakt fiel in die Hochphase seiner aktiven Laufbahn. Er hatte gerade seinen vierten Weltmeistertitel in Athen gewonnen, da flatterte eine interessante Einladung ins Haus. "1997 wurde ich vom Aldiana Club in den Senegal eingeladen. Dort gab es den ersten wasserlosen Golfplatz Afrikas. Man spielte jeden Schlag von Gummi-Tees und der gesamte Golfplatz bestand eigentlich nur aus Sand. Von diesem Sport hatte ich natürlich null Komma null Ahnung." Doch die Szenerie war spektakulär: Flamingos zogen am feuerroten Abendhimmel entlang und Affenbrotbäume, so weit das Auge blickte. Wer könnte da schon nein sagen? "Zur Platzeröffnung wurde ich eingeladen, meinte aber: ,Jungs, ich habe von diesem Sport keinen Schimmer.' Die meinten: ,Kein Problem, wir bringen dir die Grundlagen bei. Das Wichtigste ist, dass du den linken Arm gerade lässt.' Ich dachte mir: 'Den linken Arm gerade lassen, das kenne ich doch.'"

Schwinger Club Vol. 17: Alles relativ: Nicht nur Driver, auch Palmen werden in Lars' Gegenwart zu Zahnstochern
Alles relativ: Nicht nur Driver, auch Palmen werden in Lars' Gegenwart zu Zahnstochern
Kaum war die technische Verbindung zum Diskuswerfen hergestellt, waren auch das Interesse und der Wettkampfgeist geweckt. "Am nächsten Tag stand ich zwei Stunden lang bei 45 °C Hitze auf dem Platz und habe Bälle geschlagen. 150 Meter habe ich geknackt." Da Lars zu dieser Zeit jedoch noch voll im Training stand und seinem Ziel, der beste Diskuswerfer der Welt zu bleiben, alles andere kategorisch unterordnete, riss der Kontakt zum Golf mit der Abreise aus dem Senegal auch wieder ab. "Und dann war da noch etwas: Das Elitäre am Golfsport war so ganz und gar nicht mein Ding."

Was noch fehlte, waren also die richtigen Mitspieler, um mit dem Vorurteil des elitären Snobsports aufzuräumen, und die standen 2000 in Form von Sven Ottke und Gerd Siegmund beim Club der Besten in Soma Bay bereit. "Als wir den Golfplatz dort gesehen haben, haben wir uns Schläger geschnappt und sind losmarschiert. Für neun Löcher haben wir fünf Stunden gebraucht inklusive einer Stunde schnorcheln, um all die Bälle, die wir an einem Par 3 versenkt haben, wieder rauszufischen. Das war meine erste Golfrunde." Bei einem Turnier drei Tage später brach Lars die Runde zwar nach neun Löchern ab, um an diesem Tag noch etwas Zeit mit der Familie verbringen zu können, doch bei der Siegerehrung wurde dem in puncto Stableford und Platzreife völlig ahnungslosen Hünen mitgeteilt, dass seine Punktzahl auf den ersten neun Löchern bereits für die Platzreife gereicht hätte. Er hätte nur eine gültige Scorekarte abgeben müssen.

Wieder zogen Jahre ins Land bis zum nächsten Ausflug auf einen Golfplatz. "2007 war ich verletzt und konnte nicht trainieren. Da kam Klaus Wolfermann zu mir und meinte: ,Anstatt zu Hause rumzuhängen, kannst du doch zu meiner Turnierserie kommen.' Ich meinte: ,Brauche ich dafür nicht so eine Platzreife?' - ,Bei uns nicht!', war seine Antwort. Ich habe bei diesem Turnier 43 Stableford-Punkte erspielt und alle klopften mir dafür auf die Schulter. Ein Jahr später wurde ich bei einem Turnier nach meinem Handicap gefragt, ich sagte einfach: "43." Schwups hatte ich ein Handicap. Nicht bei der Armee gewesen und keine Platzreife gemacht - zwei wichtige Punkte in meinem Leben, auf die ich richtig stolz bin stolz bin."

Zur gleichen Zeit arbeitete Lars zusammen mit Edwin Klein an seiner Autobiografie "Meine Welt ist eine Scheibe" und fand in seinem Koautor einen Golfbruder im Geiste. "Edwin war Hammerwerfer und zweimal im olympischen Finale. Ich glaube, er hat noch nie in seinem Leben eine Trainerstunde genommen - im Prinzip wie Bubba Watson, nur mit dem Unterschied, dass Bubba Watson neben Edwin wie ein Jungpionier aussehen würde." In Florida arbeiteten die beiden nicht nur acht Wochen lang am Buch, sondern auch ausgiebig an Lars' Golfschwung. "Handicap null wie Edwin wäre wohl nur mit viel Training zu machen. Das sehe ich bei mir nicht. Aber Handicap 5 bis 8 halte ich für absolut machbar."

Doch wer möchte schon über ein Handicap nachdenken, wenn eine zweite Karriere als Schlägertyp im amerikanischen Long-Drive-Zirkus winkt? Willkommen im Schwinger Club, Lars Riedel!

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