Die Golfprofi-Fassade bröckelt, als der erste Schwung den Ball über die begrünte Wüste Mexikos fliegen lässt. Was Michael mit dem Golfschläger macht, ist durchaus ansehnlich, aber nicht mit dem seidig weichen Schwung eines Ernie Els oder Rory McIlroy zu vergleichen. Nobody is perfect! "Wie sieht's zurzeit mit dem Handicap aus?", möchte ich wissen. "Irgendwo um die 18 liege ich im Moment. Es lässt sich gut spielen mit einer 18. Dieses Handicap verzeiht auf dem Platz noch einiges", lautet seine Antwort und er kann sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. Schließlich waren es dieser Schwung und diese 18, die ihm gemeinsam mit Florian Fritsch bei der Dunhill Links Championship im vergangenen Oktober den Sieg in der Pro-Am-Wertung eingebracht haben. Abgesehen vom Pro-Am in Pebble Beach gibt es für einen Amateurgolfer auf diesem Planeten nicht viel mehr zu gewinnen.
»ES GAB EINIGE BEIM FC BAYERN, DIE VIEL GOLF GESPIELT HABEN. ,BRAZZO', PIZARRO, OWEN HARGREAVES UND OLIVER KAHN NATÜRLICH.«
Michaels Spiel wurde besser, die Einladungen zu Pro-Ams nahmen zu und eine Begegnung mit Miguel Ángel Jiménez blieb ihm bis heute im Gedächtnis, obwohl sie bereits zehn Jahre zurückliegt: "Jiménez hat mich beeindruckt, einfach weil er ein sehr cooler Typ ist. Seine ganze Art zu spielen hat mir sehr gefallen." Im Vorfeld der BMW Open in Eichenried schnappte sich Michael des Öfteren seine Pro-Am-Partner wie Rafael Cabrera-Bello oder Pablo Larrazábal und schleppte sie gemeinsam mit weiteren Tourkollegen und Profifußballern auf den Fußballplatz. "Vor dem Pro-Am in München spielen wir auf der Open-9 zuerst Fußball und dann neun Löcher Golf. Das Fußballspielen gefällt den Jungs immer sehr gut."
Unabhängig von der Disziplin sprechen Profisportler eine universelle Sprache. Für Zockereien mit dem Ex-Bayernkollegen Salihamidžic ist einer wie Michael Ballack aber nicht zu haben. "Ich zocke nicht beim Golfen. Wir spielen vielleicht das Getränk nach der Runde aus, aber mehr nicht. Natürlich wollen wir Wettkampf und spielen gegeneinander, Einsätze gibt es aber keine. Ich kenne natürlich auch Kollegen, die immer um etwas spielen wollen. Das gehört einfach zum Golf, oder? Viele behaupten sogar, dass man sich nur so wirklich verbessern kann."
Diese Meinung teilt Michael nicht und versucht es mit klassischem Training, wenngleich seine Handicap-Ziele für einen Weltklassesportler relativ bescheiden ausfallen: "Golf ist einfach Spaß für mich. Es ist nicht entscheidend, ob ich Handicap 8 oder 12 auf meiner Karte stehen habe. Ich möchte natürlich bald einstellig spielen, um dieses Gefühl einmal erlebt zu haben. Eine Runde im einstelligen Handicap-Bereich habe ich bereits gespielt, aber das war der berühmte Ausrutscher nach oben. Das Handicap ist ja die Stärke, die man regelmäßig spielt. Viele Golfer verwechseln das. Kaum hat man einen guten Tag, hört man: ,Das ist dein Spiel!' Die Tage, an denen man völlig verhackt, erwähnt keiner. Diese Tage müssen aber auch gezählt werden. Mein Ziel ist, mich immer wieder ein bisschen zu verbessern." Und lachend fügt er im königlichen Wir hinzu: "Verschlechtern wollen wir uns nicht."
2014 sprach es sich sogar bis nach St. Andrews herum, dass hier in Deutschland einer der besten Fußballer, die diese Nation je hervorgebracht hat, auch ganz ansehnlich Golf spielt, und die Einladung zur Dunhill Links Championship folgte prompt. Gemeinsam mit Marcel Siem ging es zusammen auf die Runden in Carnoustie, Kingsbarns und den Old Course. Das Duo um den Tour-Routinier und den Pro-Am-Neuling schlug sich beachtlich und scheiterte mit einem geteilten 39. Rang knapp am Cut. "2015 hat es noch besser geklappt", erzählt Michael am Ende eines langen Golftags unter der Sonne Mexikos beim Abendessen und kann sich ein Lachen dabei nicht verkneifen. "Ich weiß, wie schwierig das ist und wie viel Glück man auch braucht, um vorne mit dabei zu sein, vor allem als Amateur. Wichtig ist es, dass, wenn einmal ein Loch verhauen wird, der andere dann für einen da ist. Diese Spielform ist absolute Teamarbeit." Obwohl Michael im Halbfinale einer WM vor heimischem Publikum gespielt hat, zweimal im Champions-League-Finale antrat und unzählige Pokal- und Meisterschaftsschlachten vor bis zum Bersten gefüllten Stadionrängen geschlagen hat, ließ auch ihn das Gefühl, am Sonntag in der letzten Gruppe auf den Old Course zu gehen, nicht kalt.
"Nervös war ich auf jeden Fall. Die Nervosität war am Vorabend, als ich realisiert habe, was auf mich zukommt, viel schlimmer. Mir wurde klar, dass eine Menge Leute mitlaufen werden, denn der andere Pro im Flight, Thorbjørn Olesen, hat die Profiwertung angeführt. Aber nach dem ersten Abschlag war ich dann recht ruhig." Hat jemand vier Jahre bei einem der polarisierendsten Vereine der Premier League eine zentrale Position gespielt und führt nun als Amateur im Team ein European-Tour-Turnier an, sollte man meinen, dass es auf der Insel den ein oder anderen Arsenal- oder ManU-Fan gibt, der sich an dieser Stelle für zuvor zugefügte Niederlagen in der Liga rächen möchte, doch die Schotten wissen offenbar gut zwischen Fußball und Golf zu unterscheiden. Trash-Talk? Fehlanzeige! "Das war immer sehr fair. Die Schotten sind ja bekannt dafür, dass sie eher ruhig sind. Das war angeblich das beste Wetter, das sie während eines Finaltags bei der Dunhill je hatten, und darum waren sehr viele Zuschauer auf dem Platz. Zwischenrufe gab es keine; wenn man aber im Rough liegt und somit näher bei den Zuschauern steht, wird man besonders als Amateur auch angequatscht und spricht mit den Zuschauern." Für seinen Profipartner Florian Fritsch lief es an diesem Tag bekanntlich nicht allzu rosig und nach zwei unglücklichen Lagen in Fairwaybunkern war Olesen der Sieg nicht mehr zu nehmen. Das Gleiche galt jedoch glücklicherweise auch für das deutsche Duo in der Pro-Am-Wertung, denn der "Capitano" hatte seine Nerven im Griff, wie man das von einem vierfachen deutschen Meister, sechsfachen deutschen und englischen Pokalsieger und Vizeweltmeister erwarten kann.
Blickt man heute auf seine Bilderbuchkarriere zurück, ist es beinahe unglaublich, dass einem begnadeten Fußballer wie Michael Ballack der große internationale Titel verwehrt blieb. Dafür hat er aber nun ein Foto, auf dem er mit Teamkollegen und Siegertrophäe auf der Swilcan Bridge posiert, das Clubhaus des R&A im Hintergrund. Dieses Foto ist viel mehr als nur ein Trostpreis. Herzlich willkommen im Schwinger Club, Michael Ballack!