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Schwinger Club Vol. 24

Marcel Noack

Von Rudi Schaarschmidt, Fotos: Robert Winter

Drive for show - putt for dough! Über diese Weisheit im Profigolf kann Marcel Noack nur lachen. Er puttet im wahrsten Sinne des Wortes wie ein Weltmeister und bekommt dafür keinen Pfifferling.

Auf die Information, ich würde Golf spielen, werde ich häufig mit der Antwort konfrontiert: "Ach ja? Ich hab schon mal Minigolf gespielt!" Ich versuche dann immer, gelassen zu bleiben und interessiert zu lächeln, statt mein Gegenüber wegen dieser an Dämlichkeit und Ignoranz kaum zu überbietenden Reaktion zu steinigen. Es gelingt mir meistens. Wenn mir einer mitteilt, er sei Astronaut und kürzlich zum Mond geflogen, entgegne ich ihm auch nicht, dass ich als Schüler gerne Papierflieger gebastelt habe.

Wenn man sich mit irgendetwas intensiv beschäftigt, egal womit, öffnet sich immer ein Universum. Bevor unsereins erstmals einen Golfschläger in der Hand hatte, waren die Bedeutungen von Graswuchsrichtung, Grüngeschwindigkeit, Schlagflächenneigung oder Schafthärte auch noch böhmische Dörfer. Und genau so ist das auch beim Briefmarkensammeln, Töpfern oder - Minigolf! Glaubt ihr nicht? Ging mir genauso. Bis ich Marcel Noack getroffen habe. Der 31jährige Mainzer ist Informatikkaufmann und das einzig Negative, was ich nach unserem Treffen über ihn sagen kann, ist, er ist Bayern-Fan, ansonsten aber ein überaus sympathischer und intelligenter Kerl. Seit 20 Jahren spielt er Minigolf.

Den Minigolfern geht es wie den Golfern. Der sportliche Anspruch wird von dem Universum Außenstehender unterschätzt. "An einem Turniertag spiele ich mich um sieben Uhr ein. Um acht Uhr beginnt der Wettkampf. Der dauert oft bis 18 Uhr oder noch länger. In dieser Zeit absolviere ich vier Turnierrunden. Das ist mental und körperlich anstrengend. Ich muss ja in der vierten Runde genauso fokussiert und fit sein wie beim ersten Schlag." Druck, Anspannung, Nervosität - alles wie beim Golf. "Auf dem höchsten Niveau entscheidet die Tagesform. Man versucht, in einen Flow zu kommen." Marcel hat nahezu alles gewonnen, was möglich ist: 2012 und 2015 wurde er deutscher Meister und in Finnland im vergangenen Jahr sogar Weltmeister. Mit einer 18 in der Auftaktrunde - das schaffte nicht mal Kim JongIl. Dem gelangen schließlich nur elf Asse während seiner ersten und einzigen Runde Golf. Mit der Nationalmannschaft holte Noack zweimal den Weltmeistertitel und dreimal Gold bei Europameisterschaften.

Schwinger Club Vol. 24: Furchteinflößend: So muss sich Zaza gefühlt haben, als er Manuel Neuer gegenüberstandSchwinger Club Vol. 24: Furchteinflößend: So muss sich Zaza gefühlt haben, als er Manuel Neuer gegenüberstand
Furchteinflößend: So muss sich Zaza gefühlt haben, als er Manuel Neuer gegenüberstand

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MARCEL BESITZT DREI SCHLÄGER UND ETWA 2.000 MINIGOLFBÄLLE. ZU EINEM TURNIER REIST ER MIT ETWA 800 VERSCHIEDENEN BÄLLEN AN.
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Als allseits geschätzter Großmeister auf den Grüns dieser Welt bin ich dadurch in meinem Ehrgeiz geweckt. Dummerweise treffen wir uns nicht auf einem der Grüns dieser Welt, sondern in Marcels Heimatclub, dem 1. Minigolfclub Mainz. An der ersten Bahn, einer völlig simplen ebenen Betonfläche ohne Hindernisse, gerät sein Schlag komplett aus der Richtung, prallt schon nach drei Metern gegen die Bande, läuft weit am Loch vorbei in den Zielring, prallt dort noch viermal gegen die Bande und - verschwindet im Loch! What the f#%k?! Was für ein Glück! In den nächsten Minuten wird klar: Es war nichts anderes als pure Absicht. Was dieser Kerl auf den verschiedenen Bahnen zaubert, lässt mich auf Legomännchengröße schrumpfen. Nach einigen Bahnen höre ich auf mitzuspielen und schaue nur noch zu. Und lerne.

Könner versuchen beim Minigolf auf keiner Bahn, das Loch direkt anzuspielen, sondern den Ball immer über mehrere Bandenkontakte zu versenken. Generisch erscheint mir Minigolf dem Billard näher als dem Golfsport. Es gibt Betonbahnen (die man betreten darf), Eternitbahnen (die man nicht betreten darf) und bis zu 18 Meter lange Filzbahnen. Weil wir aber nicht MinigolfPunk heißen, erspare ich weitere Details. Nur so viel: Marcel Noack besitzt drei Schläger - und etwa 2.000 Minigolfbälle. Zu einem Turnier reist er mit etwa 800 Bällen. Nicht weil er sie wie unsereiner reihenweise in irgendwelchen Hecken und Tümpeln verliert, sondern um auf die jeweiligen Gegebenheiten mit dem entsprechend perfekten Ball reagieren zu können. Jeder Ball hat andere Spieleigenschaften. Und ein anderes Bandenverhalten. Bälle ohne Lackierung banden mehr, weiß doch jedes Kind. Manchmal muss ein Ball aber noch entsprechend erwärmt oder gekühlt werden, um optimal mit den Wetter- und Bahnbedingungen zu korrespondieren. Ein bisschen nerdig ist das Ganze ohne Zweifel. Aber jetzt kommt's: Ein Minigolfball kostet zwischen 16 und 17,50 Euro - wer hätte gedacht, dass Minigolf teurer sein kann als Golf?

Für einen Europa- und Weltmeister, sollte man meinen, dürfte das kein Faktor sein. "Weit gefehlt" wäre noch untertrieben: Marcel verdient mit seinem Sport keine Kohle. Nada. Niente. Er bezahlt sogar noch 7 Euro Monatsbeitrag in seinem Club und muss bei all den Turnierreisen schauen, dass er mit seinem Arbeitgeber klarkommt, eventuell mit Kollegen Dienste tauscht oder seinen Urlaub dafür opfert. Seine Freundin Tina spielt kein Minigolf. Ihre Begeisterung für die Leidenschaft des Partners hält sich ob der vielen Zeit, die dafür draufgeht, in verständlichen Grenzen. Die Saison dauert von Ostern bis Oktober. Im Winter spielt Marcel zum Ausgleich Badminton, in der Betriebssportgruppe Fußball und trainiert Minigolf in der Halle. Die nächstgelegene ist im 70 Kilometer entfernten Mannheim. Von nix kommt nix. Neben den Wettkämpfen verbringt er weitere zehn bis 15 Stunden pro Woche auf der Anlage. Durch seinen Sport ist er ganz schön rumgekommen in der Welt. Neben Turnieren in nahezu allen europäischen Ländern hat er auch schon in China oder Thailand eingelocht. Was ihm noch fehlt, ist der Europameistertitel im Einzel (Silber 2010) und der Meistertitel mit seiner Mainzer Bundesligamannschaft. "2018 findet die Endrunde in Mainz statt", erzählt er mit einem Lächeln, das verrät, das er von einem erfolgreichen "Finale dahoam" träumt.

Schwinger Club Vol. 24:
Marcel Noack ist in seinem Element, wenn er über Minigolf spricht. Mit elf Jahren hat er angefangen und sah sich in der Schulzeit natürlich einigen abfälligen Kommentaren ausgesetzt. Das hat im gleichen Maße abgenommen, wie die Erfolge zugenommen haben. Seine Puttbewegung findet kein Pendant in der Golfwelt. Zusammengekauert, den Putter kurz gegriffen, steht er über dem Ball und die Schlagbewegung ist eine Ganzkörperbewegung. Kein Pendeln aus den Schultern, der Körper geht im Rück- und Durchschwung mit, allerdings ohne Hüft- und Schulterdrehungen. Das Finish ähnelt eher dem eines vollen Golfschwungs als einer Puttbewegung. "Die langen, geraden Schläge durch ein Törchen sind für den Hobbyspieler die schwierigsten - für mich gar kein Problem."

Wir fahren zum nächstgelegenen Golfplatz. Ich bin mir sicher, dass dieser Spuk auf einem Grün sein Ende haben wird. Dennoch bin ich durch Marcels Performance auf den Minigolfbahnen vorsichtig geworden und verzichte darauf, ihm eine Challenge anzubieten. Eine meiner besseren Entscheidungen.

Schwinger Club Vol. 24: Sicher ist sicher: Ostern muss nächstes Jahr nicht ausfallen
Sicher ist sicher: Ostern muss nächstes Jahr nicht ausfallen
Auf dem Putting-Grün des Mainzer Golfclub platziere ich einen Ball in etwa sechs Metern Entfernung zu einem Loch und bin ziemlich sicher, dass die Welt hier ganz anders aussieht. Von wegen. Der Ball fällt. Der nächste auch. Marcel kann sogar Grüns lesen. "Das müssen wir bei Minigolfbahnen auch. Die sind ja auch nicht immer eben." Er puttet auf Anhieb besser als die meisten Golfer, die ich kenne. In einigen Metern Entfernung unterrichtet Teaching-Pro Nico Zimmermann gerade eine junge Dame im Chippen und seine Aufmerksamkeit richtet sich immer mehr auf diesen Typen mit dem unorthodoxen Puttstil. Ungläubig verfolgt er, wie Marcel völlig unkonventionell puttet und trotzdem einen Ball nach dem anderen versenkt, und überzeugt ihn, seine Putts vom SAM PuttLab, einem Gerät, das Putts per Ultraschall detailgenau erfasst, analysieren zu lassen (siehe Extrakasten Seite 71).

Deutschland ist eine Minigolfnation. Angesichts dieser Tatsache ist verwunderlich, dass es nicht wie Rodeln oder Skispringen stundenlang im Fernsehen übertragen wird, obwohl es hierzulande deutlich mehr Minigolfer als Rodler oder Skispringer gibt. Die stärkste Konkurrenz kommt aus Schweden, der Schweiz, Österreich und Tschechien. Den Kampf, olympisch zu werden, hat der Deutsche Minigolfverband für 2020 zwar verloren, aber die Bemühungen gehen weiter. Wer weiß: Vielleicht habe ich den Tag ja mit einem Olympiasieger in spe verbracht? Herzlich willkommen im Schwinger Club, Marcel Noack!

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