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Spirit(s) Of The Game

Golf und Aquavit

Von Christopher Keller, Fotos: Mike Meyer

Bornholm - eine Insel mit 30.000 Einwohnern, etwa 20 Heringsräuchereien und vier Golfplätzen mitten in der Ostsee. Da darf es auch mal etwas Rustikales im Flachmann auf der Runde sein: ein Aquavit, die vielleicht meistunterschätzte Spirituose Europas. Zur Verdauung und Verarbeitung von hohen Scores einfach perfekt!

Die beschauliche dänische Ostseeinsel Bornholm, näher an Schweden als an Dänemark gelegen und von Rügen aus bequem mit der Fähre zu erreichen, gilt gemeinhin eher als Rentnerparadies und Urlaubsziel kinderreicher Familien, die den unendlich langen Sandstrand (mit dem feinsten Sand Europas!) bevölkern und mit ihren Fahrrad-Anhängern kreuz und quer über die Insel pedalieren - und ist für Golfer bislang ein weißer Fleck auf der Landkarte. Völlig zu Unrecht, denn die Insel bietet neben einem vielfältigen Querschnitt durch die skandinavische Natur - mit Felsklippen, Kiefernwäldern und einer wundervoll abwechslungsreichen Küstenlinie - vier wirklich gute Golfplätze und ein für nordeuropäische Verhältnisse gemäßigtes Klima.

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DIESES VERMEINTLICH RUSTIKALE DESTILLAT HAT SO VIEL MEHR ZU BIETEN ALS GEMEINHIN ANGENOMMEN, VOR ALLEM WENN MAN MAL NICHT DEN FEHLER MACHT, SICH DAS WÄSSERCHEN EISKALT HINTER DIE BINDE ZU KIPPEN.
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Ich habe mich in einen dieser vier Plätze vor einigen Jahren regelrecht verliebt und kehre regelmäßig auf die Insel zurück, um diesen Platz zu spielen. Der Old Course von Rø ist zwar erst 1984 gebaut worden, trägt seinen Namen aber völlig zu Recht, da man schnell das Gefühl bekommt, auf einem Platz zu spielen, der schon 200 Jahre alt ist. Die Bornholmer Landschaft ist durch so genannte Spaltentäler geprägt, Reminiszenzen an eiszeitliche Eruptionen, die für Geologen wissenschaftlich interessant sind - und für Golfer extrem reizvoll. Der von Anders Amillon gestaltete Par-71-Platz nützt eines dieser Spaltentäler geschickt aus und sorgt für spektakuläre Bahnen zwischen Granitfelsen und zahlreichen Wasserhindernissen mit eklatanten Höhenunterschieden. Die Charakteristik der typisch skandinavischen Landschaft wird hier quasi en miniature vorgestellt und bietet eine wunderschöne Szenerie. Der Platz ist nur 5.369 Meter lang, was dem Spaß am Spiel aber keinen Abbruch tut, denn den Driver kann man getrost auf den meisten Löchern stecken lassen. Dafür sind die Landezonen zu klein, die Seen, Tümpel und Flüsschen zu zahlreich, und wenn mal kein Wald oder Wasser im Weg ist, dann erschweren Granitplatten oder Steinmäuerchen auf dem Fairway eine kontrollierte Annäherung ans Grün. Der ClubPro von Nordbornholms Golfklub Gary Hindsaw hat völlig recht, wenn er jedem Neuling auf die Runde mitgibt, dass man hier mit Köpfchen spielen müsse. Gefragt sind die fein geführte Klinge, eine gute Strategie und manchmal defensives Spiel, wenn auch die drei Schlusslöcher mit einer gesunden Länge und - meistens - einer gehörigen Portion Gegenwind aufwarten können, sodass am Ende durchaus auch die Longhitter zum Zuge kommen. Die Grüns sind nicht immer in Tour-Zustand, sondern eher auf der langsamen Seite, aber um es ganz ehrlich zu sagen, der Score ist auf diesem Platz am Ende zweitrangig. Es ist das unmittelbare Naturerlebnis in der einzigartigen Bornholmer Landschaft ergänzt durch vielfältigen tierischen Besuch: keine Runde ohne Rehe, Fasane, Häschen, Möwen, oder Greifvögel, die das Spiel auf dem Old Course in Rø so paradiesisch erscheinen lassen.

Apropos Old Course: Natürlich gibt es direkt nebenan auch einen New Course, der mit 6.469 Metern (Par 72) ein echtes Brett ist - und genauso schwer und hindernisreich wie der Old Course. Lena Mortensen hat den Platz 2004 als echten Meisterschaftskurs gestaltet - mit einigen großartigen Ausblicken auf die Ostsee und den bewaldeten Back Nine, die mich immer wieder zum Verzweifeln gebracht haben. Der New Course gehört zum Gudhjem Golf Klub, der sich mit Nordbornholms Golfklub das Clubhaus, die Driving Range, die Gastronomie und den Pro teilt. 36 extrem interessante Löcher also - dazu kommen die anderen beiden Golfplätze in Rønne und Nexø, sodass man es bei moderaten Greenfee-Preisen von circa 45 Euro wirklich gut auf der Insel aushalten kann. Vorausgesetzt, man hat etwas zum Trinken dabei, um den einen oder anderen Ballverlust zu vergessen.

Spirit(s) Of The Game:
Und hier setzen wir - wie immer in dieser Kolumne - auf Lokalkolorit und greifen, wie es sich in Skandinavien gehört, zu einem Aquavit, um den Flachmann aufzufüllen. Dieses vermeintlich rustikale Destillat hat so viel mehr zu bieten als gemeinhin angenommen, vor allem wenn man mal nicht den Fehler macht, sich das Wässerchen eiskalt hinter die Binde zu kippen, sondern etwa bei Zimmertemperatur, was ich auch immer dann empfehle, wenn man mal einen Korn, einen Ouzo oder einen Wodka wirklich "schmecken" will - also sensorisch erleben -, statt der rein haptischen Empfindung, wenn eiskalter Alkohol einem die Kehle herunterrinnt.

Aquavit, der genauso wie Whisky oder Eau de vie seinen Namen vom "Wasser des Lebens", der spätmittelalterlichen Bezeichnung für jede Art von Branntwein, ableitet, ist der traditionelle nordeuropäische Schnaps und, wenn gut gemacht, ein überaus komplexes und aromatisches Destillat, dem detailreiche Rezepturen zugrunde liegen. So kommen beispielsweise Dill, Fenchel, Koriander, Zimt, Nelken, Wacholderbeeren, Kubebenpfeffer, Angelikasamen, aber auch Beeren, Zitrusschalen, Blüten und Wurzeln in den verschiedenen Produkten zum Einsatz. Meist bis zu 20 Kräutern und Gewürze.

Genau so wie Gin oder Absinth wird Aquavit durch Mazeration und Destillation gewonnen, das bedeutet: In hoch rektifiziertem Neutralalkohol werden Kräuter und Gewürze extrahiert und schließend abdestilliert, was wir in Deutschland "Geistverfahren" nennen. Bei Aquavit ist das vorherrschende Gewürz Kümmel - aber eben nicht das Einzige, was den Aquavit auch von einem klaren norddeutschen Kümmel (in Flüssigform) unterscheidet, auch wenn der vorherrschende Kümmelgeschmack gesetzlich vorgegeben ist.

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen klaren Aquavits, die mehr oder weniger ausschließlich als Digestifs zum Einsatz kommen, und solchen, die in Holzfässern ausgebaut werden und einem längeren Reifeprozess unterzogen werden. Letztere Sorten würde ich auch für den Flachmann auf der Runde empfehlen, da in der Regel etwas harmonischer, runder und mit einem komplexeren Aromenbild. Es gibt sogar einen Hersteller, der seine Fässer angeblich auf Schiffen mehrfach über den Äquator (die "Linie") schippert, um dem Stoff den richtigen "Spin" zu geben. An solche Behandlungen muss man glauben, da unterscheidet sich der Spirituosenkenner nicht vom Golfer. Ich möchte keine Werbung für eine Aquavit-Marke machen, empfehle aber, darauf zu achten, dass man einen wirklich handwerklich hergestellten Aquavit von einem kleineren Hersteller erwischt.

Aus purer Nostalgie und mit der positiven Erinnerung an die letzte Golfreise nach Bornholm habe ich im letzten Jahr meinen ersten Aquavit gebrannt, obwohl das hier in Süddeutschland für Stirnrunzeln sorgt. Benannt haben wir ihn nach einem der Pioniere der nordischen Destillationsrezepturen: Christopher Blix Hammer, kurz und bündig Blix.

Auch in Bornholm wurden seit 1855 traditionelle Aquavits hergestellt, in Dampfbrennereien in Hasle, Nyker, Åkirkeby und Nexø. Die Brennereien mussten im 20. Jahrhundert schließen, die "Spritfabrik" (wie romantisch!) in Hasle brennt aber seit 1994 wieder echten Bornholmer Akvavit. Historisch betrachtet ist der nordeuropäische Branntwein eng mit der Heringsfischerei in der Ostsee verknüpft, für die Bornholm seit dem Spätmittelalter ein wichtiger Handelsplatz war. Hiervon zeugen nicht nur die stattliche Festung Hammershus, einst räuberischer Außenposten des Bistums Lund, sondern vor allem auch die pittoresken Kamine der vielen Räuchereien rings um die Insel. Und wer dort einmal einen frisch geräucherten, fettigen Hering mit Roter Bete und Zwiebel gegessen hat, der weiß, wie gut so ein Tröpfchen des Lebenswassers tut! Auch wenn die Verdauung entgegen der landläufigen Meinung nicht wirklich optimiert wird, so bleibt doch ein wohligwarmes Gefühl im Bauch. Und das kann auch bei einer Golfrunde auf dem wunderbaren Old Course von Rø nicht schaden - und schmeckt hier so richtig gut! Drink local!

 

ZUR PERSON

Christoph Keller ist 47 Jahre alt und trägt schon immer Vollbart. Als Jugendlicher spielte er mit den Leonberg Lobsters in der Baseball-Bundesliga und studierte im Anschluss Kunst, Kunstgeschichte und Philosophie. 1998 gründete er den Revolver Kunstverlag und führte diesen bis 2004, bevor er ihn verkaufte. Danach zog er in die Stählemühle im südlichsten Baden und fand dort eine Brennerei vor. 2005 wurde dann die Leidenschaft fürs Schnapsbrennen entfacht und er entwickelte als Master Distiller den legendären Monkey 47 Schwarzwald Dry Gin. Die Stählemühle entwickelte sich währenddessen zu einer der zehn besten Brennereien der Welt und dann nahm Christoph zum ersten Mal einen Golfschläger in die Hand, erspielte sich ein einstelliges Handicap, wurde Kapitän im Golfclub Schloss Langenstein und spielt gerne Runden mit Hickory-Schlägern.

RØ OLD COURSE
Nordbornholms Golfklub Rø, Bornholm, Dänemark
Par 71, 5.369 Meter
Design: Anders Amillon, 1984
www.nordbornholmsgolfklub.dk

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