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Lügenpresse: -4? Mit Sicherheitnicht auf der Style-Skala!

Golfpunks dieser Welt

Chi Chi Rodriguez

Von Fritz Lüders, Fotos: Getty Images

Vom Caddie zum Überstyler und PGA-Toursieger - 'Chi Chi' Rodriguez schaffte in den 60ern das Undenkbare: Er brachte mit seinem Golfspiel und den unvergleichlichen Jubeleinlagen selbst die weißesten Zuschauer in den Vereinigten Staaten zum Klatschen. Hut ab vor dieser Legende!

Ausholen, anvisieren, zustechen! Der Griff um den Degen ist so fest, dass sich die ledrige Haut seiner Hand spannt. Ruckartig zieht er die Waffe zurück und befestigt sie durch einen Stoß in der Schwertscheide. Juan "Chi Chi" Rodriguez imitiert einen Stierkampf, wie ihn José Tomás nicht besser hätte ausführen können. Statt spitzen Metalls nutzt der 81-jährige Puerto Ricaner jedoch seinen Golfschläger. Die Menge ums Grün johlt und "Chi Chi" strahlt so sehr, dass seine weißen Zähne zwischen den dünnen Lippen hervorblitzen. Bevor er zum nächsten Abschlag geht, dreht er sich noch einmal grinsend zu den Zuschauern um. Dieser Gewinnertyp hat es jedoch nicht leicht im Leben gehabt. Vielmehr ist er der größte Kämpfer, den die Golfwelt je gesehen hat.

Rodriguez wurde 1935 in ärmlichen Verhältnissen in Rio Piedras, einem Distrikt der puertoricanischen Hauptstadt San Juan, geboren. In den 60er- und 70er-Jahren gewann er acht Titel auf der PGA Tour. Popularität erreichte er durch sein polarisierendes Auftreten sowie seine lateinamerikanische Herkunft - in Zeiten, in denen Rassismus im Golf zur Tagesordnung gehörte.

Puerto Rico, 1942. Es waren die frühen 40er-Jahre, die Rodriguez' Leben prägten. Die Eltern des dunkelhäutigen Jungen trennten sich. Fortan wuchs "Chi Chi" bei seinem Vater auf. Wie seine fünf Geschwister musste auch Juan im Grundschulalter für den Familienunterhalt arbeiten. Täglich umklammerte er mit seinen kleinen, gebrechlichen Händen die Griffe der großen Wasserbehälter, um sie mühevoll durch die bauchhohen Berge aus abgeschnittenem Zuckerrohr aufs Feld zu schleppen. Jeder Schritt auf den spitzen Pflanzenresten zog dabei kleine Schnittwunden nach sich. In der Hitze Puerto Ricos brachte der Siebenjährige so den Arbeitern auf der Plantage etwas zu trinken - für ein Gehalt von zehn Cent pro Tag. Sein Vater, mit Machete in der Hand ebenfalls auf dem Feld, trug jede Woche 18 US-Dollar nach Hause, wovon er einen Teil sogar Bedürftigen gab. "Weil sie es dringender benötigen", belehrte er seinen hungernden Sohn.

Golfpunks dieser Welt: Keine schöne Sache: Feuerameisen in der UnterhoseGolfpunks dieser Welt: Keine schöne Sache: Feuerameisen in der Unterhose
Keine schöne Sache: Feuerameisen in der Unterhose

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ICH LAS DAS GRÜN IN SPANISCH, ABER PUTTETE IN ENGLISCH.
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"Unser Haus war so klein, da war nicht mal Platz für Gedanken", äußerte sich "Chi Chi" später über seine Kindheit. Die Realität war wesentlich ernster: Da selbst Geld für Zahnbürsten fehlte, schmierte er sich Abend für Abend etwas Seife auf die Finger und schrubbte damit über das entzündete Zahnfleisch. Essen gab es kaum.

Nach seinem Karriereende gab Rodriguez in einem Interview preis: "Ich trank die Milch mit einer Gabel, damit ich länger etwas davon hatte." Durch Nahrungs- und Calcium- Mangel erkrankte "Chi Chi" bereits im Alter von vier Jahren an Rachitis, überlebte nur knapp. Als Folge litt er anschließend an dünnen, zerbrechlichen Knochen.

Wie es von seinem frohmütigen Vater vorgelebt wurde, klagte auch "Chi Chi" nie über die Arbeit auf dem Feld. Dennoch begriff der Junge schnell, dass er woanders mit weniger Aufwand mehr Geld verdienen könnte. Schon in frühen Jahren legte er seine Hoffnungen, der Armut zu entkommen, in den Sport. Eines Tages schnitt er sich einen starken Guaven-Ast ab, sammelte eine leere, verbeulte Rostbüchse von der Straße, formte diese zu einer Kugel und spielte damit Golf. Kurz nachdem die USA dem Zweiten Weltkrieg beigetreten waren, schoss "Chi Chi" in seinem Heimatort immer und immer wieder die blecherne Dose durch die verstaubten Straßen - Erzählungen zufolge über 100 Yards!

Für eine Flasche Limonade nahm er später auch an Straßenboxkämpfen teil oder spielte als Pitcher Baseball mit lokalen Helden wie seinem Namensvetter "Chi Chi" Flores.

1943 schaffte der damals Achtjährige erstmals den Sprung auf den Golfplatz, heuerte als Caddie im Dorado Beach Resort in der Nähe seines Hauses an. Kaum größer als ein Golfbag war er viel zu klein, um dieses über eine Strecke von 18 Loch zu bugsieren. Die "gut gekleideten Männer", wie "Chi Chi" die Golfspieler des Clubs später beschrieb, setzten ihn deshalb als Balljungen ein. Als Gegenleistung durfte er sich einmal die Woche selber mit Schlägern und Ball auf den grünen Bahnen versuchen.

Wenn der Jungspund golfte, stopfte er mit Zeitungspapier die viel zu großen Schuhe aus und verstaute stets einen Haufen Glasscherben in seiner Hosentasche, um vor den anderen Jungs den Eindruck zu erwecken, er hätte klimperndes Bargeld dabei. Sein Talent war nur schwer zu übersehen, doch der grassierende Rassismus in den USA der frühen 50er-Jahre schränkte seine Entwicklung ein: Zuweilen verwehrte ihm der Wachposten vor den Toren des Golfplatzes den Zugang. "Was willst du denn hier?", fragte er "Chi Chi" eines Tages. Die Antwort, er sei Golfer, glaubte der Aufpasser nicht. Erst als "Chi Chi" log, er sei Caddie, öffnete der Sicherheitsdienst die Tore.

Ende der 1950er-Jahre schien für den Anfang 20-jährigen Rodriguez eine Sportlerkarriere bereits utopisch zu sein. Also schlug er einen anderen Weg ein. Als Pfleger in einer psychiatrischen Klinik unterstützte er bedürftige Patienten beim Duschen und Essen. Obwohl ihm diese Arbeit gefiel, verlor Rodriguez nicht das Bild der gut ernährten, adrett gekleideten Männer auf dem Golfplatz aus den Augen. Mit 23 Jahren wurde er somit abermals Caddie, diesmal allerdings auf dem Platz des neu eröffneten Dorado Beach Resort nordwestlich der Hauptstadt San Juan. Für ein Honorar von 1,70 Dollar pro Runde trug er die Tasche von PGA-Pro Pete Cooper von Loch zu Loch. Dieser war von seinem Caddie so angetan, dass er den Burschen unter seine Fittiche nahm. Auf der Driving Range zeigte er dem sportlichen Ziehsohn "Chi Chi", wie man den Schläger richtig greift, und zwang ihn immer und immer wieder, 50-Yards-Annäherungsschläge zu üben. Gerade das perfekte Kurzspiel sollte "Chi Chi" Rodriguez später zum PGA-Sieger küren.

Zwei Jahre später bat Rodriguez niemanden Geringeren als Laurance Rockefeller, den Teilhaber des Dorado Beach Resort, um Geld für seinen Karrierestart. Von der Art und dem Spiel des Nachwuchsgolfers begeistert übergab ihm der amerikanische Milliardär einen Scheck über 12.000 US-Dollar. Kaum hielt "Chi Chi" diesen in Händen, schloss er sich umgehend der PGA Tour an - der Rest ist Geschichte: In seiner aktiven Zeit gewann er acht Titel bei den Profis sowie 22 auf der heutigen Champions Tour.

Dabei lagen ihm selbst dort einige Steine im Weg. Als der Puerto Ricaner Profi wurde, war Rassismus alltäglicher Teil des Golfsports. Erst acht Jahre zuvor durfte Charlie Sifford als erster schwarzer Golfer überhaupt am Spiel der weißen Oberschicht teilnehmen. In Texas lebte die Unterdrückung noch länger. Bis 1976 ließ der Chairman des Augusta National Golf Club, Austragungsort der Masters, sogar offiziell verlauten: "Weiße spielen Golf, Schwarze tragen die Taschen."

Obwohl Rodriguez mit Lee Trevino zu den ersten Latinos der PGA Tour gehörte und von vielen nur ungern gesehen wurde, gab er sich selbstbewusst und trotzte den Anfeindungen mit Humor. "Ich war damals so nervös, dass ich vorher eine Flasche Rum trank", bilanzierte "Chi Chi" Jahre später sein erstes Mal in Augusta. "Das war die witzigste 83 meines Lebens."

In seiner gesamten Karriere verdiente Rodriguez tourübergreifend über sieben Millionen US-Dollar - für einen Golfer seiner Klasse keine exorbitante Summe. Wie sein Vater unterstützte auch "Chi Chi" Bedürftige, über fünf Millionen seines Gewinns gab er ab. Anderen zu helfen stand für ihn immer an erster Stelle. So kaufte er erst jedem Familienmitglied ein eigenes Haus, ehe er sich sein eigenes leistete. Als einmal bei einem Turnier junge Inhaftierte zusahen, ging er nach seiner Runde mit ihnen zum Abendessen ins Gefängnis. Später sagte er: "Ich war in ihrem Alter nicht anders, ich wurde nur nie erwischt."

Sein Drang, den Menschen Gutes zu tun, spiegelte sich auch in der humorvollen Art des Entertainers wider. Das Ritual, nach einem Birdie-Putt mit dem Hut das Loch abzudecken, oder wild mit dem Schläger herumzufuchteln, sorgte für breites Lachen und gute Laune bei den Zuschauern. Für den ehemaligen Profi-Golfer eine Herzensangelegenheit: "Schließlich zahlen sie viel Geld für die Tickets."

Seine Showeinlagen hatten allerdings nicht nur Befürworter. Gottvater Arnold Palmer rüffelte Rodriguez, er solle etwas runterfahren. Mitspieler witzelten, mit "Chi Chi" im Flight zu spielen sei wie ein Four-Stroke-Penalty, womit sie auf seine ablenkende Art anspielten. Andere monierten, der Hut des Puerto Ricaners würde beim Fallen aufs Grün Schäden rund ums Loch verursachen.

Rodriguez ließ sich durch solche Verbalattacken nicht kleinmachen, akzeptierte aber die Kritik an seinem Verhalten. Von da an imitierte er den Schwertkampf erst, nachdem alle Mitspieler ihre Bälle im Loch versenkt hatten, und entschuldigte sich bei denen, die er verärgerte. Was damals kaum einer verstand: "Chi Chi" war der Erste, der den Spaß ins Profigolfen brachte. "Die Zuschauer arbeiten hart, um sich Eintrittskarten leisten und zuschauen zu können", erklärte er zu der Zeit sein polarisierendes Verhalten. "Es ist also meine verdammte Pflicht, ihnen Spaß zu bereiten. Denn was wäre das Leben ohne Freude?" Heute gesteht auch sein ehemaliger Kritiker Gene Littler: "Wir waren damals noch nicht bereit für ,Chi Chi'. Er war uns in der Zeit weit voraus."

Gäbe es eine Schwäche in Rodriguez' Golfspiel, es wäre das Putten. Trotz seines fragilen Körperbaus erreichte er beeindruckende Schlägerkopfgeschwindigkeiten und Längen. Auch sein Kurzspiel war grandios. Aber auf dem Gemähten rund um die Fahne verpasste er den Sprung in die absolute Weltspitze. Ex-Pro Lionel Hebert analysierte in den 1980er-Jahren treffend: "Hätte ,Chi Chi' sich mehr auf das Spiel als auf andere Leute und ihre Nöte konzentriert, hätte er bestimmt doppelt so viele Turniere gewonnen."

Das tat der Lebensfreude und Begeisterung für den Golfsport des Puerto Ricaners aber keinen Abbruch. "Ich spielte wie Tarzan und scorte wie Jane", lachte Rodriguez später über sich selbst. Hubert Green schätzte schon damals dessen liebe- und humorvolle Art - Misserfolge hin oder her: ",Chi Chi' sieht wunderbar aus, ist ein Gentleman, ein grandioser Golfer und ein fantastischer Entertainer. Er verkörpert all das, worum es im Golfen gehen sollte."

Neben seiner Herzlichkeit und der unterhaltsamen Art war es auch die Mode, die "Chi Chi" zu einer Legende machte. Trotz damals sehr strenger Etikette weckte er das Style-Empfinden auf dem Kurs. Von Anfang an trug er Hut und Sonnenbrille, stellte als Erster eine anziehende Optik zur Schau.

Jahrzehnte später sind all diese Charakterzüge nicht verschwunden. Im Gegenteil: Noch heute, mit über 80 Jahren, nimmt der inzwischen selbst zum Senior gewordene Rodriguez an Turnieren teil. Spielt er an einem Loch zu seiner Zufriedenheit, hat er nach wie vor mit dem über das Loch wachenden Bullen kein Erbarmen. Dann zieht er den Degen, sticht zu, wischt das Blut von der Klinge und befestigt die Waffe anschließend an seiner Hüfte - Sieger. Nach einigen Sekunden blitzen im Schatten des Huts die Zähne und mit einem Lächeln schaut der Kämpfer grinsend in die lachenden Gesichter der Zuschauer.

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