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Lee Westwood

Der General

Von Rudi Schaarschmidt, Fotos: Mike Meyer, Getty Images

Allen, die über Lee Westwoods Berufung ins Ryder-Cup-Team die Nase rümpfen, sei gesagt, dass dem Engländer nur noch zwei gewonnene Matches fehlen, um mit Nick Faldos Rekord von 25 Punkten gleichzuziehen. Noch Fragen? Solch einen Siegertypen kann man nicht zu Hause lassen.

Es ist keine 24 Stunden her, da hat die Golfwelt von Darren Clarke erfahren, dass neben Martin Kaymer und Thomas Pieters auch Lee Westwood eine Wild Card für die Ryder-Cup-Matches in wenigen Tagen in Hazeltine erhalten wird. Den 43 Jahre alten Tourveteranen scheint das wenig zu berühren. Er dreht hier oben in den Schweizer Bergen seine Pro-Am-Runde und scheint darüber, nun endlich bei der Arbeit auch mal kurze Hosen tragen zu dürfen, glücklicher zu sein, als Ende des Monats im hitzigsten Golfkampf des Jahres eine wichtige Rolle zu spielen. Diese Coolness ist allerdings nur Fassade. Natürlich war es seit Monaten das formulierte Ziel, es in dieses Team zu schaffen, und natürlich hat er sich dafür mächtig ins Zeug gelegt: "Selbstverständlich war ich entschlossen dazu, eine gute Form zu zeigen und es so ins Team zu schaffen. Ich war noch nicht bereit dazu, mein Spiel abzuschreiben. Ich wusste, dass ich immer noch in der Lage bin, gutes Golf zu spielen."

Jack Nicklaus nutzte vor seinem legendären Sieg beim Masters 1986 einen Zeitungsartikel, der ihn als ausgebrannten Schatten seines ehemaligen Selbst bezeichnete, als Ansporn, um noch einmal über sich hinauszuwachsen. Lee Westwood ist heute drei Jahre jünger als der "Golden Bear" damals, die Motivationstechniken scheinen sich jedoch über die Jahrzehnte und Kontinente hinweg nicht geändert zu haben. "Jedes Mal, wenn dich jemand abschreibt, ist das eine hervorragende Motivation. Man kann das entweder schlucken und sich miserabel fühlen oder ihnen mit ihren eigenen Worten das Maul stopfen. Genau das ist übrigens auch die Attitüde, die man braucht, wenn man beim Ryder Cup antritt." Auf die sachte und durch die Blume formulierte Nachfrage, ob er die Namen der Captain's Picks vielleicht nicht schon ein klein wenig länger wisse als wir, schließlich verfügt er über einen denkbar kurzen Draht zum Captain persönlich, gibt es erwartungsgemäß keinen Kommentar. Der nächste Drive will das Fairway hinuntergeprügelt werden.

Lee Westwood: Ausflug in Uniform: Klassenfahrt bei den Jungen LiberalenLee Westwood: Ausflug in Uniform: Klassenfahrt bei den Jungen Liberalen
Ausflug in Uniform: Klassenfahrt bei den Jungen Liberalen

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SELBSTVERSTÄNDLICH WAR ICH ENTSCHLOSSEN DAZU, EINE GUTE FORM ZU ZEIGEN UND ES SO INS TEAM ZU SCHAFFEN. ICH WAR NOCH NICHT BEREIT DAZU, MEIN SPIEL ABZUSCHREIBEN.
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Sechs Jahre ist es her, dass Lee Westwood zum letzten Mal allein das Cover von GolfPunk schmückte und dass wir uns damals mit ihm im Worksop Golf Club trafen. Damals war er die Nummer drei der Golfwelt und keine sechs Monate später hatte er es sogar bis an die Spitze der Weltrangliste geschafft. Kurz davor beendete er erneut ein Major, diesmal war es die Open Championship in St. Andrews, auf dem zweiten Rang und unsere Titelzeile "Das LEEverkusen-Syndrom" schien aktueller denn je. Ein Major hat Lee Westwood bis heute immer noch nicht gewonnen und in einer Liste der besten Spieler ohne Major-Titel würde er auf jeden Fall die top drei knacken, je nach Auslegung der verschiedenen Karrieren vielleicht sogar den Spitzenplatz besetzen. Westwoods bisherige Karriere lediglich über die fehlende Major-Trophäe zu definieren kommt nahezu einer Beleidigung gleich, schließlich gewann er seit 2010 nicht nur neun weitere Profiturniere, sondern spielte auch in drei weiteren Ryder-Cup-Teams, die allesamt siegreich vom Platz gingen.

Dass sein Platz in Team Europa 2016 lange Zeit ungewiss war, lag an der Höllensaison 2015, deren Ursachen abseits des Golfplatzes lagen. Nach 16 Jahren ging Lees Ehe mit seiner Frau Laurae alles andere als einvernehmlich in die Brüche. "Es war unmöglich, mich auf Golf zu konzentrieren, während die Scheidung noch lief", erzählte er in einem Interview der "Daily Mail" Anfang des Jahres. "Wie es um mein Golfspiel stand, darum machte mir keine Sorgen. Ich lebe nun wieder das gesamte Jahr im Vereinigten Königreich, weshalb ich meine Kinder viel öfter sehen kann. Ich habe den Winter über kaum Golf gespielt und fühle mich nun bestens ausgeruht."

Lee Westwood: Nachgefragt: 'Bist du dir wirklich sicher, den Herd ausgeschaltet zu haben?'
Nachgefragt: 'Bist du dir wirklich sicher, den Herd ausgeschaltet zu haben?'
Wie ausgeruht er tatsächlich war, zeigte er beim Saisonauftakt an der Magnolia Lane, wo Lee Westwood bis tief in den Sonntag hinein um den Sieg und das Grüne Jackett mitspielte. Das Masters 2016 bescherte Westwood wohl den erfreulichsten zweiten Rang seiner gesamten Karriere, beendete er doch nicht nur eine lange Durststrecke und kletterte in der Weltrangliste vom 67. auf den 35. Rang, sondern die Woche in Augusta bewies auch, dass der Traum vom Major noch lange nicht ausgeträumt ist.

Es gibt viele gute Gründe, warum Darren Clarke Lee Westwood ins Team für den Ryder Cup 2016 geholt hat, obwohl es aus Sicht der Presse und Golfexperten durchaus Alternativen gegeben hätte. Einer dieser Gründe ist sicher die Tatsache, dass Westwood und Clarke sich seit Ewigkeiten kennen und respektieren, schließlich teilen sie sich nicht nur eine Tour, sondern auch einen Manager. Der wichtigste Grund ist jedoch der Faktor, der mit dem Label "Erfahrung" oft nur halbwegs treffend beschrieben wird. Darren Clarke hat Lee Westwood nicht ins Team geholt, weil der Engländer bereits neunmal und damit häufiger als jedes andere Teammitglied für Europa an den Start ging. Er gab Westwood eine Wild Card, weil er auf dem Platz einen, wie Clarke es ausdrückte, "General" benötigt. "Wann immer er etwas sagt, sitzen die anderen Spieler im Teamraum aufrecht und hören zu."

Neunmal stand Lee Westwood bisher im Aufgebot des europäischen Ryder-Cup-Teams und ging dabei siebenmal zusammen mit seinen Kollegen als Sieger vom Platz. Seinen Einstand gab er 1997 bei Seve Ballesteros' Heimspiel in Valderrama. Eine Wild Card war für den damaligen Weltranglisten-32. und Sechsten der europäischen Punkteliste kein Thema. Er qualifizierte sich spielend und hat längst vergessen, dass Captain's Picks auch Ende der 90er bereits sehr kontrovers waren. "Oh Gott, das ist 20 Jahre her. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wie Seve das Ganze gehandhabt hat. Das war aber auch nicht nötig, denn ich habe mich direkt fürs Team qualifiziert und musste mir um Wild Cards keine Gedanken machen." Wie es vom Maestro zu erwarten war, hatte Seve seine ganz eigene Methode, mit dem Amt des Kapitäns umzugehen, und rief keinen der Spieler, die in Frage für einen Captain's Pick kamen, persönlich an, wie es heute gang und gäbe ist.

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