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Road Trippin'

Tagesausflug nach Paris

Von Jan Langenbein, Fotos: Mike Meyer

Wie viel Golf und wie viel Road Trip passen in 24 Stunden? Um das herauszufinden, machen wir uns auf nach Paris und dank 510 PS unterm Hintern bleibt vielleicht noch Zeit für ein Halbfinale.

Stuttgart kurz nach vier Uhr morgens. Wir fahren auf der B10 in Richtung Autobahn und ich kann mich beherrschen, den Regler für den Fahrmodus unseres goldgelben - der Fahrzeugbrief nennt diese Farbe Solarbeam - Mercedes-AMG GT S auf C für "Comfort" stehen zu lassen. Die halbe Stadt wäre wach, würde ich ihn hier und jetzt auf S+ stellen, das habe ich gestern gelernt, als ich den Wagen im Mercedes-Benz-Hauptquartier übernommen habe. Als die Schilder neben der Straße endlich blau werden, ist es so weit, den Knopf zu drehen, und die Hölle bricht los. Einer leeren Autobahn, aber hauptsächlich den 510 PS und 650 Newtonmetern Drehmoment dieses Supersportwagens sei Dank passieren wir wenige Augenblicke später die 135 Kilometer entfernte deutschfranzösische Grenze, ab wo wir uns für die nächsten etwa 22 Stunden im Schwitzkasten des generellen 130-km/h- Geschwindigkeitslimits befinden werden. Ab hier übernimmt der Tempomat.

Unser erster Tagesausflug führte uns letztes Jahr nach Katalonien, doch damals waren wir an Abflugzeiten gebunden. Als wir nach unseren beiden Runden im PGA Catalunya Resort kurz vor Boarding durch den Flughafen spurteten, war klar, dass wir die Aufgabe bestehen würden. Heute haben wir es mit dem nächsten Level zu tun. Vor uns liegen knapp 1.500 Kilometer in einem Land, das nicht nur etwas gegen geschwindes Fahren hat, sondern das auch gerade die Fußballeuropameisterschaft austrägt. Heute Abend spielen Portugal und Wales im Halbfinale gegeneinander und unsere Route nach dem Golf steht noch nicht fest.

Road Trippin': Mission impossible: bloß nicht auffallen! (l.)Road Trippin': Mission impossible: bloß nicht auffallen! (l.)
Mission impossible: bloß nicht auffallen! (l.)

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ALS WIR DAS DUTZEND ÜBERSCHRITTEN HABEN, HÖREN WIR AUF, DIE UNS MIT BÖSEN BLICKEN VERABREICHTEN MITTELFINGER ZU ZÄHLEN.
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FRONKREISCH, FRONKREISCH


Nach einer ereignislosen, aber im Vergleich zur deutschen Autobahn erstaunlich spritsparenden ersten Etappe kommen wir vor dem Zeitplan in Augerville-la-Rivière, einem kleinen Örtchen etwa eine Autostunde südlich von Paris, an. Zwischen Ortsschild und dem beängstigend engen Torbogen vor dem Château wird hier in nur drei Minuten Fahrt jedes Frankreich-Klischee bedient: Kopfsteinpflaster, das nach "Comfort"-Modus schreit, ein zu dieser Zeit noch geschlossenes Bistro mit rot-weiß karierten Tischdecken und ein im Trainingsanzug der Équipe Tricolore spazierender Local, der - die beiden Baguettestangen unter dem Arm lassen dies vermuten - gerade vom Bäcker kommt. Die filterlose Gitanes im Mundwinkel unseres Nachbarn rundet das Bild perfekt ab und Fotograf Mike sucht hektisch im Fußraum nach seiner Kamera. "Unglaublich, wie aus dem Bilderbuch!", sind seine Worte mit dem Kopf unter dem Handschuhfach. "Fahr langsamer!" - "Lass gut sein", wiegele ich ab, "das glaubt uns ohnehin kein Mensch, dass dieses Bild nicht gestellt ist."

Road Trippin':
Im Garten des im 13. Jahrhundert erbauten Château d'Augerville warten seit 1995 18 Golflöcher auf Gäste. Lag dieser Golfplatz in puncto Renommee und Pflegezustand seit seiner Eröffnung immer im Schatten der benachbarten Nobelwiese Golf de Fontainebleau, so hat sich Château d'Augerville, seit Troon Golf diese Anlage vor wenigen Jahren übernommen hat, zu einem echten Geheimtipp entwickelt. Während Fontainebleau ein echter Members Club ist und Startzeiten nur mit richtig guten Beziehungen zu bekommen sind, steht Augerville jedem Gast für ein angenehm preiswertes Greenfee zur Verfügung.

Jon Brook, seines Zeichens Golf Director hier, erklärt uns, warum wir keinen einzigen Golfer auf der Anlage sehen. "Die Unwetter, die den Süden von Deutschland im Juni heimgesucht haben, wüteten auch hier. In der Umgegend wurden zahlreiche Häuser zerstört. Auch in meinem Haus stand das Wasser im Erdgeschoss. Die Leute haben gerade andere Probleme als Hook und Slice." Für den Engländer ist dies allerdings nur die Spitze des Misthaufens der letzten Wochen. "Zuerst brockt uns dieser Idiot Boris Johnson eine Suppe ein, die ich jetzt auslöffeln darf - keine Ahnung, was aus meiner Arbeitserlaubnis hier wird -, und dann blamiert sich mein Team auch noch gegen Island. Nimm es mir nicht übel, wenn ich euch nicht auf die Runde begleite. Ich gehe Holz hacken, einen Boxsack bearbeiten oder irgend so was."

Road Trippin': Frexit: Franzosen ziehen sich auf ihre Insel zurück
Frexit: Franzosen ziehen sich auf ihre Insel zurück
Wir sind tatsächlich die einzigen Golfer auf den Front Nine von Augerville und so kommen wir gefühlt schneller voran als zuvor auf der französischen Autobahn. Keine drei Stunden nach dem ersten Abschlag sitzen wir bereits auf der Schlossterrasse mit Blick auf das 18. Grün und lassen uns die französische Küche schmecken. Es muss eine Entscheidung getroffen werden. Möglichkeit eins: Wir nehmen die 450 Kilometer nach Lyon in Angriff und sind pünktlich zum Halbfinale im Stadion. Möglichkeit zwei: Wir schauen das Spiel heute Abend auf der Fan-Zone vor dem Eiffelturm und schieben vorher noch eine zweite Runde Golf ein. Der ursprüngliche Plan, auf dem Rückweg am Nürburgring vorbeizuschauen, um auf der Nordschleife zumindest in die Nähe des Grenzbereichs unseres AMG GT S zu kommen, stellt sich im Hinblick auf unsere Solvenz schnell als bedenklich heraus. Ein Blick in den Leihvertrag zeigt, dass die Versicherung keine Schäden auf Rennstrecken deckt. Im Falle eines Unfalls würden wir also auf den Kosten sitzen bleiben und ein Blick in die Portokasse machte schnell klar, dass ein im Kiesbett geparkter AMG GT S zurzeit absolut nicht im Budget liegt. Jon ist mittlerweile von seiner Urschreitherapie im Keller zurückgekehrt und hat eine eindeutige Meinung: "Bleibt in Paris! Was wollt ihr denn in Lyon? Das Public Viewing am Eiffelturm ist gigantisch und auf dem Weg dorthin kommt ihr am Le Golf National vorbei. Ihr könnt nicht in Paris gewesen sein und den Ryder-Cup- Platz nicht gespielt haben, oder?" Der Mann hat natürlich völlig recht.

REINE NERVENSACHE


Es ist nur ein Katzensprung von Augerville bis zum Austragungsort des Ryder Cup 2018 und man erwartet etwas Pompöses, fährt man zum ersten Mal auf eine Anlage, die sich als nationales Aushängeschild des Golfsports sieht.

 

TRAUMAUTO

MERCEDES-AMG GT S


Antrieb: AMG 4,0 Liter V8 Biturbomotor
Getriebe: AMG Speedshift DCT 7-Gang Sportgetriebe
Leistung: 375 kW (510 PS)
Höchstgeschwindigkeit: 310 km/h
0-100 km/h: 3,8 Sekunden
Hubraum: 3.982 cm3
Leergewicht (EU): 1.645 kg
Basispreis: 134.351 Euro (inkl. 19% MwSt.)

Optisch ist eine Jungfernfahrt zum Golf National jedoch eine herbe Enttäuschung: Industriegebiet trifft auf Vorstadttristesse. Der Golfplatz dagegen erstrahlt seit diesem Jahr in neuem Glanz, denn rechtzeitig vor den diesjährigen French Open wurde der Albatros-Platz nach exzessiven, Ryder-Cup-bedingten Umbaumaßnahmen wiedereröffnet. Um später noch rechtzeitig zum Fußball zu kommen, beschließen wir, dass neun Löcher heute genügen müssen, und schließen uns einer Gruppe Franzosen an, die gerade in Richtung zehntes Tee marschieren. Golf auf hervorragenden Anlagen in Frankreich neigt dazu, eine äußerst elitäre Angelegenheit zu sein, schließlich ist die Anzahl der Anlagen, die außer den eigenen Mitgliedern niemanden auf den Platz lassen, deutlich höher als in Deutschland. Le Golf National dagegen ist ein öffentlicher Golfplatz und steht jedem offen, der das Greenfee bezahlen möchte. Es ist kein Wunder, dass die Profis der European Tour diese Anlage lieben, denn das Design ist darauf ausgelegt, in vier Runden den besten Golfer aus einem Starterfeld herauszufiltern. Hier werden weder Longhitter noch chirurgisch präzise Ballstriker und auch keine Putt-Weltmeister bevorzugt; die Mischung aus langen Spielbahnen und Löchern, die nicht mehr als Genauigkeit verlangen, ist schlicht perfekt. Viele der unzähligen Wasserhindernisse und knietiefen Rough-Zonen sind für Professionals nicht wirklich im Spiel, tritt ein Wochenend-Hacker wie ich ans Tee, sieht die Sache jedoch anders aus. Der einzige Golfplatz, den ich bisher spielen durfte, der in seinem Charakter mit Le Golf National verglichen werden kann, ist der Stadium Course des TPC Sawgrass. Auch dort ist jeder Schlag, der aus mehr als 20 Zentimetern Entfernung zum Loch gespielt wird, der pure Stress und eine Runde auf diesen Marterwiesen gleicht einem mentalen Marathonlauf. Nach einer Runde im Le Golf National schläft man garantiert gut, so sehr zehrt dieser Platz an den Kräften. Zwischen uns und unseren Hotelbetten liegen allerdings noch ein Date mit Gareth Bale und Cristiano Ronaldo und 650 Autobahnkilometer.

Golfplätze in der Region

CHÂTEAU D'AUGERVILLE

CHÂTEAU D'AUGERVILLE

18 Löcher, Par 72, 6.230 Meter

Adresse
Place du Château
45330 Augerville-la-Rivière
Tel. +33 238.32.12.07
www.chateau-augerville.com

Greenfee
50 Euro (Mo.- Fr.)
66 Euro (Sa. & So.)

Man muss schon einiges von Architektur verstehen, um ein englisches Schloss von einem französischen Château unterscheiden zu können und in Augerville sicherzugehen, dass man sich tatsächlich in Frankreich und nicht in England befindet. Der Parkland-Platz hat den Vibe eines altehrwürdigen englischen Golfplatzes an sich, und wenn dann am späten Abend auch noch ein Fuchs aus dem dichten Wald aufs Fairway gerannt kommt, ist die Illusion perfekt.

Killerloch
Loch Nummer 4 ist ein Par 5, das einige Anläufe erfordert, bevor man versteht, wie dieses Loch zu spielen ist. Die Kurzform der Strategie: Driver stecken lassen und auch später nicht den Helden spielen.
www.chateau-augerville.com

LE GOLF NATIONAL L'Albatros

LE GOLF NATIONAL L'Albatros

18 Löcher, Par 72, 6.718 Meter

Adresse
2 Avenue Golf
78280 Guyancourt
Tel. +33 130.43.36.00
www.golf-national.com

Greenfee
150 Euro

Kurz vor der Open de France in diesem Jahr wurde der Albatros-Platz nach den Umbauten für den Ryder Cup 2018 wiedereröffnet und ist seither noch biestiger als zuvor. Allerdings auch hübscher, denn der perlweiße Bunkersand ist eine optische Wucht. Jeder, der etwas auf seinen Golfschwung hält, sollte einmal hier gespielt haben und sich den Hintern versohlen lassen. Sobald man den Score nicht mehr beachtet, ist eine Runde hier einen Heidenspaß.

Killerloch
Es gibt hier mindestens zehn Löcher, die eine Scorekarte zerstören können. Am unauffälligsten und doch tödlichsten ist die 17: keine Bunker, kein Wasser und doch ein knüppelhartes Par 4!
www.golf-national.com

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