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Sang bei seinen Abschlägen immer 'Y.M.C.A.': Disko-Peete

Golfpunks dieser Welt

Calvin Peete

Von Fritz Lüders, Fotos: Getty Images

Ein schwarzer 23-Jähriger mit steifem Arm und leeren Taschen spielt 1966 zum ersten Mal Golf. Anschließend will er Profi werden. Zum Totlachen? Calvin Peete schafft das Undenkbare und findet trotzdem keine Beachtung.

Golf ist was für Sissis", ruft er seinen Freunden hinterher, die frohlockend zur Driving Range gehen. "Nur Schwächlinge spielen Golf!" Seine Worte verhallen im Leeren. Einsam im Auto muss der Anfang-20-Jährige Calvin Peete nun warten, bis die Jungs wiederkommen. Das könne über vier Stunden dauern, wurde er vorher unterrichtet. Von der Langeweile bedroht schlägt Peete die Autotür zu und rennt ihnen hinterher.

Auf der Anlage des Genesee Park in Colorado legt der 23-Jährige zum ersten Mal seine Finger um den Griff eines Golfschlägers: der Beginn einer außergewöhnlichen, nein, unmöglichen Karriere. Von diesem Schlag an, sagt Golfbuchautor Pete McDaniel, war Calvin Peete ein anderer Mensch. "Als seine Hände das Leder berührten, fühlte er, dass diese dorthin gehören."

Was wie das kitschige Kuriosum eines Clint-Eastwood-Blockbusters klingt, ist eine wahre Begebenheit und wird umso erstaunlicher, je mehr man über Calvin Peete erfährt. Der Afroamerikaner ist das achte von 19 (!) Kindern eines ärmlichen Arbeiters aus Detroit. Sein Vater, der diesen Fußballkader in nur zwei Ehen zusammenstellte, schuftete für wenig Lohn auf dem Kornfeld. Calvin wächst am Boden der amerikanischen Gesellschaft der 50er-Jahre auf, muss schon als Kind für den Unterhalt der Familie sorgen. Somit beendet er nach der achten Klasse die Schullaufbahn ohne Abschluss. Zu allem Überfluss fällt er beim Klettern vom Baum im Garten der Großmutter, bricht sich den linken Arm dreifach. Fehlendes Geld lässt nur eine unzureichende Behandlung zu. Der Arzt warnt ihn vor einer Amputation, sollte sich Calvin den Arm noch einmal brechen. Fortan kann er den linken Ellenbogen nicht mehr durchstrecken. Hätte Peete bereits damals Golfer werden wollen, es wäre das Ende seiner Karriere gewesen. Schließlich weiß selbst Charles Barkley, dass der untere Arm im Schwung gerade zu sein hat. Der zierliche Junge verschwendet zu der Zeit aber noch keinen Gedanken an Golf.

Golfpunks dieser Welt: Unpassend: Was soll das Lionel-Richie-Foto hier? (l.) Small Talk mit dem Malermeister: Calvin Peete in AugustaGolfpunks dieser Welt: Unpassend: Was soll das Lionel-Richie-Foto hier? (l.) Small Talk mit dem Malermeister: Calvin Peete in Augusta
Unpassend: Was soll das Lionel-Richie-Foto hier? (l.) Small Talk mit dem Malermeister: Calvin Peete in Augusta

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ICH LERNTE FRÜH, DASS AUS DEM HÄSSLICHEN ENTLEIN IRGENDWANN EIN STOLZER SCHWAN WIRD.
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Zehn Jahre später im Genesee Park wendet sich das Blatt schlagartig: Obwohl er ursprünglich überhaupt nicht mitkommen wollte, ist Peete nach seinem Debüt nicht mehr zu stoppen. Als einziger der Jungs bleibt er anschließend auf der Driving Range, schlägt und schlägt und schlägt. Wie ein Besessener lässt er nicht mehr von den weißen Kugeln ab. "Ich kann dir keine Bälle mehr geben, da ich zu meiner Familie muss", beendet der Range Manager laut Golfhistoriker Dr. Tony Parker den Golfrausch. Doch anstatt etwas zu beenden, sorgt der Manager für einen Anfang: Calvin Peete kennt ab diesem Moment seine Bestimmung.

Zwar ist Talent unverkennbar, Chancen auf eine Profilaufbahn gibt es aber keine. Neben seiner Verletzung sind es gerade die Hautfarbe, das leere Portemonnaie in der Tasche sowie sein nicht mehr jugendliches Alter, was ihm das Erlernen des komplexen Sports erschwert. Dass dieser Mann künftig mit Golf sein Geld verdienen möchte, ist vergleichbar mit Menderes' Wunsch nach einem "DSDS"-Gewinn. Man lächelt höchstens drüber. Allen Brocken im Weg zum Trotz - und auch das ist keine aufgebauschte Bestseller-Anekdote - ist er jetzt von seinem großen Ziel überzeugt. Dennoch nimmt er nach eigenen Angaben nie richtigen Unterricht. Einerseits, da ihm die finanziellen Mittel fehlen, andererseits, da er Angst vor dem Urteil des Lehrers hat. Wegen des ramponierten linken Arms sieht niemand für ihn eine Zukunft auf den grünen Bahnen. "Wenn du erfolgreich sein willst, musst du besser sein als die Weißen", trichterte ihm sein Vater als Kind ein.

Der 23-Jährige macht somit aus der Not eine Tugend und findet seinen eigenen Schwung, studiert Bücher Ben Hogans und Sam Sneads. Nur wenige Monate nachdem er das erste Mal seine Füße auf einen Golfplatz stellte, macht Peete Ernst und reist nach Florida, um seinem neuen Ziel mit aller Kraft nachzueifern. Dort drischt er täglich so viele Bälle in den wolkenlosen Karibikhimmel, dass seine Hände Blasen und offene Wunden bekommen. Nur dank Einlagen in den Handschuhen kann er weitermachen.

Ein weiteres Schicksal beeinflusst seine Karriere: Im Einzugsgebiet gewaltiger Tropenstürme zwingt ihn eines Nachmittags ein Unwetter, seine Runde auf dem Platz zu beenden. Peete fährt frustriert nach Hause und schaltet den Fernseher ein. Jack Nicklaus, Lee Elder und Frank Beard kämpfen im Play-off um den Titel der American Golf Classic 1968 im Firestone Country Club. Zum ersten Mal sieht Peete, dass auch Schwarze auf der PGA Tour erfolgreich spielen: ein Schlüsselmoment. "Ich gebe mir sechs, sieben Jahre, dann werde ich auf der Tour spielen", soll er laut Zeitzeugen gesagt haben.

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Seine Motivation steigt ins Unermessliche: Ein Jahr nach seinem Debüt liegt er bei 78 Schlägen, wenige Monate später bei Par. 1971 ist das Talent tatsächlich Profi, nimmt an kleinen Turnieren der United Golf Association teil. Sein Arm scheint ihn nicht zu hindern. Im Gegenteil: Peetes ungewöhnlicher Schwung wird zum Markenzeichen. Wegen seiner extrem geraden Schläge macht er sich landesweit einen Namen. Kathy Whitworth, die erfolgreichste Golferin aller Zeiten, sieht den Mann mit dem komischen Schwung bei einem Turnier jeden Ball auf die Mitte des Fairways schlagen. Nach dem Turnier gehen sie und ihre Freundinnen zu ihm hin und fragen ihn, ob sie sich ihren Arm auch so operieren lassen dürfen.

Calvin Peete macht sich seine Behinderung endgültig zum Vorteil. Zwar erreicht er nicht die Längen damaliger Top-Stars, aber durch seinen einzigartigen Schwung haut er jeden Ball schnurgerade - der Schlüssel zum Erfolg. Skip Raine, ein guter Freund, sagt den amerikanischen Medien damals: "Wenn Cal zehn Bälle schlägt, liegen diese alle im Abstand von drei Metern nebeneinander."

Calvin Peete hält Wort und wird 1975 - sieben Jahre nach seiner Ankündigung - Spieler auf der PGA Tour. Im ersten Jahr gelingen ihm ein Turniersieg sowie zahlreiche Top-Ten-Platzierungen. Und das obwohl er schon ab montags durch Qualifikationsrunden muss, sieben Tage Woche für Woche Turniergolf spielt. Noch im gleichen Jahr heißt sein Flight-Partner der US-Open-Finalrunde Jack Nicklaus, einige Wochen später Arnold Palmer. "Diese fragten ihn, ob er sich nicht fehl am Platz fühlt", sagt Historiker Parker. "Doch Peete antwortete: 'Nein, das hier war schon immer meine Bestimmung.'"

In den 80er-Jahren zählt er zu den erfolgreichsten PGA-Stars, gewinnt zwölf Titel, nimmt zweimal für die USA am Ryder Cup teil. Sein größter Triumph ist zweifelsohne der Sieg bei der Players Championship in Sawgrass. Dort gewann er jedoch nicht nur einen Haufen Geld und einen prestigeträchtigen Preis, vielmehr gewann er endlich auch die Zuschauer. Nach seinem größten Sieg sagt Peete: "In meinen Augen habe ich ein Major gewonnen, die Players."

Über zehn Jahre hält er den Rekord der Driving Accuracy auf der Tour, ist weltweit der Spieler mit dem präzisesten Schlag. Selbst Tiger Woods ist noch heute über Peetes Trefferquote erstaunt. "In Muirfield Village traf er zweieinhalb Jahre lang jedes Fairway", äußert er sich gegenüber PGA.com. "Das sind zehn Runden, ohne dabei auch nur ein einziges Mal das Fairway zu verfehlen. Unmöglich!"

Calvin Peete ist am Zenit seiner Karriere nicht mehr der jüngste Karpfen im Tour-Teich. Längst hat er auch abseits des Platzes seine Spuren hinterlassen und wie sein Vater zwei Familien gegründet - mit insgesamt acht Kindern. Seine zweite Frau mit zwei kleinen Töchtern im Kinderwagen begleitet ihren Mann auf Schritt und Tritt. "Von all dem Bergauf-, Bergabschieben über den Golfplatz war ich in der Form meines Lebens", sagt sie später in einem Fernsehinterview. Und auch bei ihrem Mann ist die Laune auf dem Gipfel: "Die Löcher legen sich einfach dem Ball in den Weg."

Calvin Peete wird im Laufe seiner beispiellosen Karriere der erfolgreichste schwarze Golfspieler der Welt. Durch seine sportlichen Ausrufezeichen, aber auch sein Pioniersein in einer Zeit, in der Schwarze in den Vereinigten Staaten für ihre Rechte kämpfen mussten, ist er ein Vorbild für Millionen, darunter auch sein Nachfolger Tiger Woods: "Er war einer meiner Idole. Er war einer von wenigen Schwarzen, die sich durchsetzten. Als Farbiger war ich natürlich daran interessiert, wie er spielte."

Dennoch ist es ausgerechnet Woods, der Peete seinen Erfolg nimmt: Tiger stellt in den darauf folgenden Jahren alles in den Schatten, was sich sein Vorbild über Jahre erarbeitete. Obwohl der 14-fache Major-Sieger längst nicht mehr den Rassismus am eigenen Leib erfahren hat, wie er Peete entgegenschlug, wurde Woods zum Aushängeschild für Antidiskriminierung im Golf. "Calvin ist ein Durchschnittsspieler: 1,75 Meter groß, 75 Kilogramm schwer und mit Zigarette zwischen den Zähnen", schreibt die "New York Times" 1983. In der Woods-Ära verliert sich sein Gesicht dann endgültig in den dicken Geschichtsbüchern der PGA. Bis zu seinem Tod 2015 durch eine Krebserkrankung bleibt Calvin Peete die Anerkennung verwehrt, die seine ungewöhnliche Karriere verdient hätte. "Er wurde erst von Charlie Sifford überstrahlt und dann von Tiger Woods", sagt Parker. "Er ist nur der Übergang zwischen diesen beiden."

Die richtige Karriere zum falschen Zeitpunkt? Wohl kaum. Dennoch kämpft der Protagonist immer wieder mit äußeren Rückschlägen, denen er sich entgegenstellen muss. Diese bilden aber auch das Charakteristikum Peetes außergewöhnlicher Karriere. Die trostlose Nichtbeachtung seiner Erfolge rundet seine Geschichte ab. Zum Karriereende erkrankt Calvin Peete an Tourette. Böse Zungen würden sagen: wie jeder Golfer. Für Peete war die Situation wesentlich ernster. Doch niedermachen konnte ihn auch das nicht.

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